Neues Urteil vom BAG
Mit Urteil vom 24.08.2016 bejahte das Bundesarbeitsgericht rückwirkend den Anspruch einer Klägerin auf Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall. Diese war vom 15.07.2013 – bis zum 15.12.2013 als Pflegehilfskraft bei dem Beklagten, dem Betreiber eines ambulanten Pflegedienstes, angestellt.
Ausschlussfrist im Formulararbeitsvertrag
Diesem Arbeitsverhältnis lag ein Arbeitsvertrag zugrunde, welcher eine als Allgemeine Geschäftsbedingung (AGB) verfasste Ausschlussfrist enthielt, nach welcher sämtliche Ansprüche aus dem Arbeitsverhältnis, sowie Ansprüche, die mit diesem in Verbindung stehen, verfallen, wenn sie ab Fälligkeit nicht innerhalb von drei Monaten zunächst gegenüber dem Anspruchsgegner schriftlich geltend gemacht und – im Falle ihrer Ablehnung oder einer Nichtäußerung des Anspruchsgegners – auch gerichtlich geltend gemacht werden. Dies ist eine sogenannten zweistufige Ausschlussfrist. Näheres entnehmen Sie bitte meinem allgemeinen Artikel zu Ausschlussfristen.
Die Klägerin war vom 19.11.2013 bis einschließlich zum 15.12.2013 arbeitsunfähig krankgeschrieben. Die ihr für diesen Zeitraum eigentlich zustehende Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall wollte der Beklagte nicht entrichten, da er an der Arbeitsunfähigkeit der Klägerin zweifelte. Diese versuchte ihren Anspruch schließlich – jedoch nach Ablauf der im Arbeitsvertrag genannten Frist – gerichtlich geltend zu machen, woraufhin der Beklagte sich darauf gestützt hatte, dass der Anspruch der Klägerin jedenfalls verfallen sei.
Das Arbeitsgericht gab der Klage statt, die Berufung des Beklagten wurde zurückgewiesen und auch die Revision vor dem Bundesarbeitsgericht blieb schließlich erfolglos.
Bundesarbeitsgericht: Ausschlussfrist darf nicht auch Mindestlohn umfassen
Als Begründung führte das Bundesarbeitsgericht an, dass eine allgemeine Verfallsklausel, die also sämtliche Ansprüche, so auch den nach § 2 PflegeArbbV bestehenden Anspruch auf Mindestentgelt in der Pflege ausdrücklich ausschließt, gegen § 9 S. 3 AEntG i.V.m. § 13 AEntG verstoße und somit unwirksam sei. Nach diesen Normen ist ein Ausschluss des Mindestentgelts über AGB nicht möglich.
Einen solchen Ausschluss hatte der Beklagte hier jedoch in der allgemeinen Verfallsfrist mit angelegt, bzw. war er zumindest nicht ausdrücklich vom Verfall der Ansprüche ausgenommen. Somit bestand der Anspruch der Klägerin auf Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall hier weiterhin, er unterlag keiner (wirksamen) Ausschlussfrist. Die Mindestlohnansprüche konnte die Klausel gar nicht verfallen lassen (s.o.). Was weitere von der allgemeinem Ausschlussklausel erfasste Ansprüche anbelangt, also vorliegend die auf Entgeltfortzahlung, die die Zahlung des Mindestentgelts nicht betreffen, greife nämlich § 307 I BGB. Diese Norm enthält das sogenannte Transparenzgebot: Verwendet z.B. ein Arbeitgeber eine AGB, die den anderen Vertragsteil unangemessen benachteiligt, so ist diese unwirksam. Eine unangemessene Benachteiligung kann sich auch daraus ergeben, dass die Klausel nicht klar und verständlich ist.
Hier war nach Ansicht des Bundesarbeitsgerichts die vom Arbeitgeber verwendete formularvertragliche Ausschlussklausel für die Arbeitnehmerin unangemessen benachteiligend und nach § 307 BGB insgesamt unwirksam: Die allgemeine Ausschlussfrist für sämtliche das Arbeitsverhältnis betreffende Ansprüche war unwirksam, da sie ihrem Wortlaut nach halt auch Ansprüche auf Mindesentgelt mit umfasste.
Fazit
Mit dieser Entscheidung stärkte das Bundesarbeitsgericht die Position der Arbeitnehmer deutlich, indem es klarstellte, dass diese nicht auf den Mindestlohn verzichten könnten und in diesem Zusammenhang formularvertraglich fixierte allgemeine Ausschlussfristen für ungültig erklärte. Dies betreffe nach dem Urteil des BAG dann auch nicht nur die Ansprüche auf Mindestlohn, sondern sämtliche Ansprüche, da die Klausel insgesamt unwirksam sei. Das Urteil erging zwar zum Mindestentgelt in der Pflege; das Mindestlohngesetz (MiLoG) enthält aber ähnliche Regelungen. Es ist also wahrscheinlich, dass das BAG in einem solchen Fall eine ähnliche Entscheidung treffen wird. Fraglich ist aber, ob das Urteil auch für Altverträge gilt (dies vermute ich nicht), oder nur für neuere Verträge ab Inkrafttreten des Mindestlohngesetzes bzw. der Pflegeverordnung. Ob das Bundesarbeitsgericht einen entsprechenden Hinweis gegeben hat in den Urteilsgründen ist derzeit noch unklar, da bislang nur die Pressemitteilung veröffentlicht wurde.
Quelle:
Bundesarbeitsgericht, Urteil vom 24.08.2016 – 5 AZR 703/15 –
Bundearbeitsgericht, Pressemitteilung Nr. 44/16
Die entscheidenden Gesetzestexte
9 AEntG
Ein Verzicht auf den entstandenen Anspruch auf das Mindestentgelt nach § 8 ist nur durch gerichtlichen Vergleich zulässig; im Übrigen ist ein Verzicht ausgeschlossen. Die Verwirkung des Anspruchs der Arbeitnehmer und Arbeitnehmerinnen auf das Mindestentgelt nach § 8 ist ausgeschlossen. Ausschlussfristen für die Geltendmachung des Anspruchs können ausschließlich in dem für allgemeinverbindlich erklärten Tarifvertrag nach den §§ 4 bis 6 oder dem der Rechtsverordnung nach § 7 zugrunde liegenden Tarifvertrag geregelt werden; die Frist muss mindestens sechs Monate betragen.
13 AEntG
Eine Rechtsverordnung nach § 11 steht für die Anwendung der §§ 8 und 9 sowie der Abschnitte 5 und 6 einer Rechtsverordnung nach § 7 gleich.
307 Abs. 1 BGB
Bestimmungen in Allgemeinen Geschäftsbedingungen sind unwirksam, wenn sie den Vertragspartner des Verwenders entgegen den Geboten von Treu und Glauben unangemessen benachteiligen. Eine unangemessene Benachteiligung kann sich auch daraus ergeben, dass die Bestimmung nicht klar und verständlich ist